Trattodino in der Weinstube
Inmitten des Offenbacher Nordends schlummert leicht versteckt, in einem schmalen und mit Efeu bewachsenen Hinterhof, ein kleines Stückchen Italien. Das heutige Ziel meiner Reise hört auf den Namen Trattodino und ist eine ebenso typische, wie sympathische Trattoria. In Italien unterscheidet man in der Restaurantkultur zwischen Bar, Pizzeria, Osteria, Trattoria und Restaurante (um nur einige zu nennen). Hinter einer Trattoria verbirgt sich standesgemäß ein einfaches Speiselokal, in dem regionale Gerichte oder Hausmannskost zu erschwinglichen Preisen angeboten werden. Im Trattodino serviert man wechselnd ebensolche, zum Teil selbstgemachte, Hausmannskost mit saisonalem Einschlag. Da die Gerichte zudem auch noch den Geldbeutel schonen, bekommen die Gäste genau das, was eine Trattoria verspricht.
Das Trattodino liegt in der Taunusstraße in guter Nachbarschaft zwischen Die Genussverstärker am Goetheplatz und Pedalinski an der Kaiserstraße, denen ich mit meinem Stadtmagazin bereits in der Vergangenheit einen Besuch abgestattet habe. Das Trattodino ist dabei in knapp 10 Gehminuten, sowohl von den S-Bahnstationen Marktplatz, als auch Ledermuseum zu erreichen. Lasst am besten euer Auto stehen und kommt stattdessen mit dem Fahrrad, den Öffentlichen Verkehrsmitteln oder eben zu Fuß, denn Parkplätze sind im Nordend rar gesät.
Während ich gerade probiere, mit meiner Kamera den Hinterhof in verschiedenen Winkeln und Sonneneinstrahlungen festzuhalten, werde ich nacheinander von zwei Anwohnern angesprochen: „Was ich denn hier machen würde und ob ich denn von der Presse sei?!?“ Nach dem ich die zwei Passanten über mein Vorhaben informiert habe und geklärt ist, dass hier alles mit rechten Dingen zugeht, sind diese beruhigt. Sie erzählen mir beide unabhängig voneinander, dass ihnen hier häufig, bereits am Vormittag ein herrlich delikater Geruch in die Nase steigt, der sie ans Mittagessen denken lässt und damit unweigerlich ihren Mittagshunger ankurbelt. Gerade als ich über ihre Schwärmerei nachdenke und Parallelen zu dem hier angebotenen Mittagstisch ziehe, steigt auch mir ein köstlicher Duft in die Nase. Auch mein Appetit ist nun geweckt! So kocht nur eine italienische Mamma, denke ich, lasse meine Kamera sinken und öffne die Tür ins Innere der Trattoria.
Buongiorno e benvenuto a Trattodino!
Im Inneren des Speiselokals empfängt mich zum vereinbarten Zeitpunkt Stefan Gey. Stefan ist der Inhaber und Kopf hinter dem Trattodino und hat bis gerade eben noch mit seinem Küchenchef Mustafa das Menü von heute sowie den Einkauf der nächsten Tage besprochen. Für heute stehen u.a. selbstgemachte Tortelloni mit Ricotta und Spinat in einer Gorgonzolasauce auf der Tafel, die für den bevorstehenden Mittagstisch bereits vorbereitet sind, aber noch finalisiert werden müssen. Die Hauptrolle auf der Tageskarte übernimmt der Zackenbarsch in Weißweinsauce mit Kartoffeln und Salat. Neben Stefans Küchenchef sorgen noch zwei weitere Köche dafür, dass alle Gerichte für den bevorstehenden Mittagstisch bereit stehen, während im Gastraum Stefans Frau Doris fleißig herumwirbelt und zusammen mit einer weiteren Servicekraft alles herrichtet.
Stefan und ich sind während dem geschäftigen Treiben um uns herum gerade mehr oder weniger überflüssig. Wir beschließen bei einer kleinen Runde Smalltalk, dass wir zur Begrüßung erstmal ein kräftiges Tässchen Espresso genießen sollten. Wir sind hier schließlich in Italien und da gehört sich das nunmal so. In der Ruhe liegt die Kraft.
… Rallenta, Rallenta!
Während im Hintergrund die Siebträgermaschine der Marke Grimac langsam vor sich hin brummt und dabei eine herrlich cremige Flüssigkeit in zwei vorgewärmte Espressotassen ausspuckt, erfahre ich ein paar erste Eckdaten über Stefan. Mein Gegenüber ist 1959 in der Nähe von Leipzig geboren, bevor es ihn kurz darauf mit seinen Eltern in die multikulturelle Stadt am Main zog. Stefan hat es mit seiner Frau Doris in den schönen Stadtteil Rumpenheim verschlagen. Der Mainbogen hat es ihm besonders angetan. Neben seiner Arbeit als Geschäftsführer im Trattodino betreibt Stefan seit nun mehr über 30 Jahren die Berthold Druck GmbH in Offenbach. Vor ein paar Wochen ist er mit seiner Druckerei in die stylischen Gemäuer des Alten-Schlachthofs gezogen. Traditionell kümmert man sich bei Berthold Druck um die Vorstufe von Druckerzeugnissen. Bei der Technik im Haus, setzt Stefan mittlerweile auf den Digitalen Druck. Der weit verbreitete Offsetdruck, darunter versteht man ein indirektes Druckverfahren, ist inzwischen ausgelagert. Stefan mag seine Arbeit in der Druckerei aber manchmal kommen ihm die abwechslungsreichen Aufgaben im Trattodino wie gerufen. „Es ist schön, wenn man mal den Kopf frei bekommen und an etwas anderes denken kann,“ gibt mein Gegenüber mit einem verschmitzten Lächeln zum Besten.
Wie ich erfahre, hatte Stefan schon immer eine große Freude an Gastronomie und italienischer Esskultur. Dafür zeichnet sich, neben einigen Italienaufenthalten, die langjährige Freundschaft zu einem gewissen „Dino“ verantwortlich. Dino war Italiener und hatte früher ein gut laufendes und stadtbekanntes Restaurant in Offenbach. Klar, dass Stefan da zu seinen Stammgästen gehörte.
Später als die Geschäfte nicht mehr so gut liefen und er das Restaurant schließen musste, war der Italiener auch nicht mehr sein eigener Chef. Unglücklich mit seinem Angestelltenverhältnis in einer fremden Küche, beschloss Dino, gemeinsam mit Stefan ein eigenes Restaurant ins Leben zu rufen und es noch mal zu probieren. Auf der Karte sollten einfache aber gut gemachte Gerichte zu finden sein, so wie man sie – für Italien typisch – in einer Trattoria bekommt. Es dauerte wahrscheinlich keine Espressolänge, bis sich die beiden Teilhaber auf den zusammengesetzten Namen, bestehend aus Trattoria und Dino, festgelegt haben. Das Trattodino war geboren und bis vor zwei Jahren in der Ludwigstraße eine beliebte Anlaufstelle vieler Feinschmecker der italienischen Küche. Wie das Leben aber manchmal so spielt, ist Dino nach einer Krankheit viel zu früh gestorben. Damit hatte Stefan nicht nur seinen Geschäftspartner und Koch, sondern auch einen langjährigen Freund verloren. Nicht zuletzt, um das Andenken an Dino zu bewahren, hat Stefan beschlossen, mit seinem heutigen Koch Mustafa in der Küche weiter zu machen. Von der Ausrichtung der Speisen hat sich knapp 11 Jahre nach dem einschneidenden Erlebnis und auch nach dem Umzug in die neuen Räumlichkeiten der ehemaligen Weinstube in der Taunusstraße, nichts verändert. „Wir haben die Ärmel hochgekrempelt und das Trattodino am Leben gehalten!“ Das hätte Dino sicherlich gut gefallen!
Im Trattodino werden ausschließlich italienische Gerichte und eine überschaubare Anzahl offener Weine serviert. Auf der wechselnden Karte finden die Gäste bodenständige Mahlzeiten ohne Chichi. Halbgefüllte Teller mit akrobatischen Verzierungen bekommt man wo anders. „Der leckere Geschmack unserer Gerichte steht und fällt mit der Qualität der Lebensmittel,“ gibt mir Stefan zum Besten. Wenn die Grundzutaten stimmen und man diese gekonnt miteinander kombiniert, kommt der gute Geschmack von ganz alleine. Für Weinliebhaber hat Stefan dann allerdings noch ein Ass im Ärmel. Er hat einen gut gefüllten Weinschrank, aus dem man sich – für ein kleines Korkgeld – einen exquisiteren Tropfen zu seinem Essen genehmigen kann. „In unserem Weinschrank finden unsere Gäste beliebte Weine aus den wichtigsten Regionen Italiens. Die Auswahl erstreckt sich von einem seltenen Brunello di Montalcino bis zu dem preiswerteren Primitivo. Die Flaschen kann man bei uns zum regulären Ladenpreis kaufen und mit nach Hause nehmen, aber sie sich eben auch zu seinem Gericht öffnen lassen. Ganz wie man mag.“
Stefan schwört bei der Beschaffung seiner wichtigsten Lebensmittel auf einige wenige Hersteller aus Italien. Das Oliven-Öl und der Parmesan kommen von handverlesenen Höfen und auch die Herkunft von Schinken und Wurst verdient besondere Anerkennung. „Unsere Wurst, der Schinken und manches Fleischstück sowie die grobe Salsiccia importieren wir von einem zertifizierten Bio-Metzger aus der Toscana!“ Der Betrieb steht der italienischen Slowfood Bewegung nahe. Diese hat sich die Erhaltung der regionalen Küche mit heimischen pflanzlichen und tierischen Produkten und deren lokale Produktion auf die Fahne geschrieben. Sie gilt als Gegenentwurf zu der globalisierten Fastfood Produktion. Ich erfahre von Stefan, dass die Metzger ihre Tiere selbst aufziehen, diese im Freien auf einem riesigen Grundstück leben und dabei nur Gutes fressen. „Diese exzellente Qualität findet sich kaum in einem anderen Restaurant in der Umgebung“, wie Stefan betont!
Stefans Lieblingsgerichte im Trattodino sind die Linguine Frutti di Mare und das stundenlang in Rotwein geschmorte Rindfleisch mit Pfeffer. Es hört auf den Namen Peposo und stammt aus einem uralten Rezept aus einer Zeit, als es in Italien noch keine Tomaten gab. Es wird wahlweise mit Polenta oder Nudeln serviert. Damit es für unsere Stammgäste nicht zu eintönig ist, wechselt unsere Karte eigentlich permanent. „Wir lassen uns dabei von traditionellen Gerichten des gesamten Landestrichs Inspirieren. Wir wälzen Kochbücher von der nördlichen Region Emilia-Romagna bis runter zum südlichsten Zipfel Siziliens.“ Stefan erzählt mir von einer langen Adressliste angesagter italienischer Restaurants und Blogs, die er im Auge behält. „Meine Recherchen erstrecken sich dabei von kleinen Pizzerien aus fast noch kleineren Dörfern in Kalabrien, bis zu angesagten Edel-Italienern aus den großen Metropolen von Paris bis New York. Was mir gefällt, probiere ich mit Mustafa in der Küche aus und wenn es gut ankommt, schafft es das Gericht vielleicht sogar auf unsere Stammkarte.“ Die Stammkarte setzt sich aus einer Ansammlung beliebter italienischer Klassiker und Dauerbrennern der Wochenkarten zusammen.
Für die gleichbleibend leckeren aber stetig wechselnden Mahlzeiten im Trattodino ist Küchenchef Mustafa verantwortlich. Mustafa stammt aus Marokko und blickt mittlerweile auf knapp 25 Jahre Kocherfahrung zurück. Nach 7 Jahren und dem Versuch mit der eigenen Pizzeria erfolgreich zu sein, einer Anstellung im Restaurante Romanella im Frankfurter Westend und weiteren Kochjobs in unterschiedlichen Restaurants in Rom – der ewigen Stadt – schwingt Mustafa bereits seit über 10 Jahren im Trattodino den Kochlöffel. Am Anfang sogar noch Seite an Seite mit dem verstorbenen Namensgeber der Trattoria.
Mustafa freut sich, dass ich da bin und mich für das Restaurant und seine Arbeit interessiere. Bisher kennen wir uns nur vom Sehen aus dem Abendgeschäft, dass um 18:00h beginnt und bis in die späten Abendstunden geht. Dort hat er mich immer freundlich aus der Küche heraus begrüßt und verabschiedet. Heute stehe ich bei ihm in selbiger hinter dem Herd und darf genauer hinschauen. „Das Wichtigste bei meiner Arbeit sind die guten Lebensmittel,“ sagt Mustafa, während er mir stolz die ausgelösten Filetstücke von heute präsentiert.
Die Pelati (Dosentomaten), die in der Küche des Trattodino zum Einsatz kommen, möchte ich auch erwähnen. Diese kosten wohl das doppelte von herkömmlichen Dosentomaten, der intensive Geschmack rechtfertigt in meinen Augen aber den höheren Anschaffungspreis. „Dazu reicht etwas frisch gezupfter Mozzarella und ein Blatt Basilikum – Ecco Buonissimo!“ Mustafa spricht fließend italienisch. Mit seinen beiden Köchen Habibur und Motiur, die beide aus Bangladesch stammen – aber für viele Jahre in Italien gelebt und gekocht haben – unterhält er sich, auf der für das Restaurant typischen Landessprache.
Die Küchenbrigade ist mit Leidenschaft bei der Sache. Artischocken kommen hier nicht etwa aus der Dose, sondern werden noch von Hand geschält, mit einem Stück Zitrone eingerieben und in Öl eingelegt. Während das Mittagsgeschäft langsam Fahrt aufnimmt und im Gastraum die ersten Getränke serviert werden, arbeiten die drei Köche routiniert die Bons ab. „Bon Neu!“ Ruft Doris in die Küche: „1 x Fisch, 1 x Tortelloni, 1 x Salat mit Meeresfrüchten.“
Bevor ich weitermache, muss ich aber erstmal meine Aussage aus der Einleitung korrigieren. So kocht natürlich „nicht nur“ eine italienische Mamma, das kann auch ein Mann! Gleichberechtigung funktioniert schließlich in beide Richtungen 🙂
… Viva l’Tavolata
Stefan würde in der Zukunft gerne noch etwas mehr auf die italienische Esskultur setzen und die beliebte Tafelrunde „Tavolata“ etablieren. Eine Tavolata bringt Leute beim Essen zusammen an einen Tisch. Dann zelebriert man gemeinsam das Miteinander, tauscht sich aus und isst sich durch die unterschiedlichen Gänge, die für den Tag entsprechend vorbereitet wurden. Los geht es dabei mit den Vorspeisen. Im Italienischen auch Anti Pasti genannt. Danach folgt der erste Gang. Dieser heißt Primi. Meistens handelt es sich dabei um ein Nudel- oder Reisgericht, das vom italienischen Hauptgang, dem Secondi abgelöst wird. Hier kommen dann das lang-geschmorte Stück Fleisch oder ein großer Fisch auf den Tisch. Die Tavolata mündet in der Regel im Dolci. Dem süßen Nachtisch. Alle Gänge werden dabei von unterschiedlichen Weinen begleitet. In der Summe aller Gerichte und in Abstimmung mit der Weinbegleitung kann eine Küche erst so richtig zeigen, was sie umgangssprachlich „auf der Pfanne hat“. Aus eigener Erfahrung sind die deutschen Mägen allerdings nicht an so ausufernde Tafelrunden gewöhnt und wir nehmen uns auch nur sehr selten so viel Zeit, um unser Essen zu genießen. „Unsere Gäste müssten gaaanz laaangsaaaam daran gewöhnt werden!“ Sagt Stefan witzelnd über seine Zukunftspläne.
… Più lentamente!
In der Ruhe liegt die Kraft. Stefan ist dennoch zufrieden: „In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass bei Firmenveranstaltungen und größeren Reservierungsrunden, unsere Tavolata sehr gut angenommen wurde. Wenn wir wissen, wie viele Leute zum Essen kommen, können wir die Tafel herrichten und uns in der Küche etwas tolles überlegen, das eben nicht auf der Speisekarte steht.“ Das Event „Pastaliebe“, das in Eigeninitiative zwischen Daniel Brettschneider und dem Trattodino ins Leben gerufen wurde, gibt ebenfalls Hoffnung. „Mit der Pastaliebe haben wir für einen Abend fremde Menschen zusammen an eine lange Tafel gebracht und ihnen, über den Abend verteilt, fünf abwechslungsreiche Pastagerichte serviert. An dem Abend gab es dann keine Speisekarte, sondern ca. alle 30 Minuten einen neuen Topf auf den Tisch. Dieser war dann prall gefüllt mit Pasta und wurde untereinander aufgeteilt. Das Event kam sehr gut an“, berichtet mir Stefan.
So geht es seit Jahren im Trattodino Stück für Stück voran. Hürden werden gemeinsam überwunden und Tiefschläge weggesteckt. Über allem steht der Anspruch, gute Lebensmittel in leckeres Essen zu verwandeln. Was soll da noch schief gehen? Stefan berichtet mir nach unserem offiziellen Interview „halb-ernst-gemeint“, dass sich sein Lokal vor ein Paar Wochen auf dem Prüfstand befunden hat. Eine Familie aus Italien war zu Gast und hat eine Bewertung im Internet hinterlassen. Ich möchte meinen Hintergrundbericht gerne mit den knappen Worten der Familie schließen: „Bravo! Für ein italienisches Restaurant im Ausland ein sehr gutes Lokal.“ Dazu gab es 5 Sterne.
„Das geht runter wie Öl“, sagt Stefan! Denn Italiener wissen ja bekanntlich, wie ihre Landesküche funktioniert.
Trattodino in der Weinstube – Taunusstraße 19 – 63067 Offenbach – Telefon: 069 85098907 – Email: info@trattodino.de
Öffnungszeiten:
Montag – Freitag: 11:30h – 14:00h | Montag – Samstag: 18:00h – 22:30h
#schöneeckenausOffenbach