Der kleine Schluck am Tresen: Caffè con Sprezzatura
Ich weiß ja nicht wie’s euch geht, aber ohne einen Kaffee halte ich es wie jeder echte Italiener und starte erst gar nicht in den Tag. La Giornata inizia con un caffè! Der Tag beginnt mit einem Caffé und häufig folgen – je nach Sonnenstand – weitere kleine Tässchen. Was für manche häufig nur ein kleiner Muntermacher für zwischendurch ist, bedeutet für mich ein großes Stück Lebensqualität! Schon der bloße Gedanke an einen Espresso lässt mich abschweifen und an Urlaub in Italien denken. Ein Espresso verkörpert nämlich so viel mehr als einfach nur ein koffeinhaltiges Heißgetränk. Neben Adriano Celentano sowie Pizza, Pasta und Gelato, gehört „un Caffè“ zu den wichtigsten Exportschlagern aus Italien. Kaum hat man die Landesgrenze überquert, bekommt man ihn in bester Qualität an jeder Tank- und Mautstelle, ja sogar an jedem Strandkiosk angeboten. Für gerade mal 0,80 Cent ist „un Caffè“ in Italien allgegenwärtig und fast größer als Religion – O dio mio!



So ein Tässchen am Tresen wird in der Regel mit einem kleinen Plausch serviert. Bereits während die Bohnen gemahlen werden, unterhält der Barista – ein echter Entertainer seines Fachs – seine Gäste. „Weißt du schon das Neuste …“ oder „Boah, was war das wieder für eine Pleite am Wochenende!?!“ Wenn seine Gäste dann zu erzählen anfangen und mit den Händen ihrem gesagten Wort mehr Ausdruck verleihen, beginnt der Barista sein Magie zu entfalten.
Ein, zwei leichte Schläge an den Rand des Siebträgers lassen das Mahlgut besser im selbigen verschwinden, bevor das Leveling Tool zum Eisatz kommt. Dieses sorgt durch mehrere Drehbewegungen dafür, dass sich das Kaffeepulver ebenerdig im Siebträger verteilt und eine glatte Oberfläche entsteht. Kurz bevor der Siebträger dann mit Kraft unter die Brüheinheit der silber glänzenden Maschine gedreht wird, drückt der Barista das Mahlgut mit dem Tamper zu einem kompakten Kaffee-Puck. Ein letzter Kontrollblick auf die Temperatur- und Druckanzeige und schon heißt es: „andiamo!“ Nun hängt der Barista wieder mit voller Aufmerksamkeit an den Lippen seiner Gäste und bestätigt deren Meinung oder fällt ihnen mit seiner eigenen ins Wort. Knapp 30 Sekunden später ist die Extraktion abgeschlossen und er stellt einen perfekten Espresso auf den Tresen. – „Va bene!“





Stammtischgespräche über Politik, Fußball und das Wetter – komprimiert auf eine Espressolänge – gehören in Italien zum Alltagsgeschehen und auch bei uns immer häufiger zum guten Ton. Während ich noch meinem Tagtraum hinterher hänge und über das italienische Flair einer Kaffeebar sinniere, stehe ich geduldig mit meiner Maske in einer Schlange und warte auf die Aufmerksamkeit von Marcello! Marcello heißt im wahren Leben Marcel Gruß und verkörpert mit Leib und Seele das Aushängeschild seiner kleinen Kaffeebar – das „Caffè Marcello“ – am Wilhelmsplatz. Leichtfüssig und mit der gewissen Portion Sprezzatura nimmt Marcello die Bestellungen entgegen und serviert Tässchen, für Tässchen Dolce Vita in Bestform! Grund genug für mich, heute mal genauer hinzuschauen und etwas länger zu verweilen als die obligatorische Espressolänge:
„Ciao Marcello! Puoi mi porti un caffè per favore!“
Ich treffe Marcello an einem Mittwoch Mittag mitten im Lockdown – es ist ein sonniger Februar Tag und die Regierung hat die COVID-19 Maßnahmen gerade nochmal bis Mitte März verlängert. Während ich meine dicke Jacke über einen Stuhl im leeren Gastraum lege, zuckt Marcello mit den Schultern und sagt: „Tja, ich kann’s nicht ändern und mache das Beste draus!“ Mein Gegenüber ist froh, dass er seine Kaffeekreationen und Snacks wenigstens to-go an den Mann und die Frau bringen darf. Man sieht ihm allerdings an, dass es sich dabei nur um einen Tropfen auf den heißen Stein handelt. So hat er sich seinen Start mit der eigenen Kaffeebar vor knapp einem Jahr bestimmt nicht vorgestellt. Doch dazu später mehr.

Sein Gastro-Handwerk hat sich Marcello während seiner Zeit im Studium drauf geschafft. Bei diversen Aushilfsjobs, die einem die Miete bezahlen, konnte er sich das wichtigste Handwerkszeug abschauen. Ursprünglich ist er angetreten um Physiotherapie und später Lehramt mit den Schwerpunkten Kunst und Philosophie zu studieren. Er hat jedoch relativ schnell für sich festgestellt, dass ihm die abwechslungsreichen Aufgaben in der Gastronomie viel mehr Freude bereiten. Auf dem Weg zu seinem eigenen Café hat Marcello bei mehreren bekannten Anlaufstellen einen Zwischenstop eingelegt. Zu den wichtigsten Leerstellen zählten: das Morleos und das Schaumahl in Offenbach, sowie das Sugar und die Espresso-Bar in Frankfurt. Ich erfahre von Marcello, dass ihn seine letzten Stationen im Sugar und der Espresso-Bar optimal auf die Eröffnung seines eigenen Cafés vorbereitet haben. „Im Sugar habe ich gelernt was es heißt, ein guter Gastgeber zu sein und dass der Erfolg eines Gastrokonzepts ziemlich viel mit der Produktauswahl und deren Qualität zusammenhängt. Im Anschluss ging’s dann für mich mit einer zweijährigen Festanstellung in der Espresso-Bar weiter.“




In der Espresso-Bar hat mein Gegenüber dann peu à peu das Handwerk der Kaffeezubereitung kennen und lieben gelernt. „Learning by Doing war angesagt! Ich habe immer probiert, mir die wichtigsten Handgriffe meiner Kollegen abzuschauen. Sogar am Spülbecken, wo alles begann, habe ich probiert Arbeitsabläufe zu beobachten, um den nötigen Feinschliff zu verinnerlichen.“ Der Wortlaut vom Tellerwäscher zum Millionär stammt ja nicht von ungefähr. „Das Team hat mir das Rüstzeug eines echten italienischen Baristas mit auf den Weg gegeben und mich ziemlich gut auf das hier vorbereitet.“, gibt Marcello dankbar zum Besten. Von seinen Fertigkeiten kann man sich mittlerweile geschmacklich und auch optisch in seiner eigenen Kaffeebar überzeugen. Marcello probiert der italienischen Linie treu zu bleiben und weiß, wie wichtig neben einem leckeren Kaffee ein gepflegtes Äußeres sowie der richtige Zwirn sind. „Für mich gehört der Look einfach dazu!“, sagt Marcello. „Banker und Bauarbeiter schlüpfen schließlich auch in ihre Uniformen, bevor sie morgens das Haus verlassen.“




Im Februar 2020 war es dann endlich soweit. „Für mich stand eigentlich schon immer fest, dass ich meinen eigenen Laden eröffnen würde, lediglich die Fragen nach dem wann? wie? und wo? – musste ich noch für mich klären.“ Wie so oft, passiert es dann in den Momenten, in denen man überhaupt nicht damit rechnet. „An einem einfachen Dienstag, stand ich so auf dem Wilhelmplatz und habe nichts ahnend in die Richtung von Willy’s Bar gesehen, als es mir plötzlich klar wurde: Das ist es!“ Was folgten waren einige Gespräche mit dem Inhaber der Bar. „Dennis und ich kennen uns schon einige Tage“, sagte Marcello und ich erfahre, dass die beiden eine langjährige Freundschaft verbindet. Wie es der Zufall dann eben manchmal so will, war auch Dennis Walger gerade auf der Suche nach Veränderungen. Er dachte über neue Wege nach, seiner Bar – die hauptsächlich Abends für Geselligkeit sorgte – bereits am Vormittag etwas mehr Leben einzuhauchen. Zwei Dumme ein Gedanke! Sie wurden sich schnell einig und gingen mit ihrem Zwei-in-Eins-Gastrokonzept schwanger. Über den Mittag sollte von nun an Marcello mit seinen Kaffeekreationen und Aperitifs für etwas mehr Dolce Vita am Wilhelmsplatz sorgen. Ab den frühen Abendstunden übernimmt dann wieder wie gewohnt Dennis Walger das Zepter in Form von Zapfhahn, Jigger und Shaker. Nach dem dann letztendlich auch noch die Behörden von dem Synergieeffekt zwischen Café und Bar überzeugt waren und das Zwei-in-Eins-Lokal abgesegnet hatten, konnte es losgehen.




Seit knapp einem Jahr beginnt für Marcello jeder Arbeitstag mit einem beherzten Griff an den On/Off-Schalter der Espressomaschine. „Das gehört – noch bevor ich meine Jacke ausgezogen habe – zu meiner ersten Amtshandlung.“ Ohne das silber glänzende Maschinchen läuft im Caffè Marcello nämlich gar nichts! Das Herzstück seines kleinen Cafés ist eine Linea Classic Automatic aus der florentinischen Schmiede La Marzocco. Hinter der verchromten Verkleidung warten zwei Gruppen mit E61 Brüheinheiten auf ihren Einsatz. Der glänzende Dual-Boiler mit gerade mal 5 Kippschaltern, zwei Dampfventilen und einer Cronos-Tastatur mit digitalem Brüh-Timer zur Kontrolle der Brühzeit, entspricht dem Gegenwert eines modernen Kleinwagens. „Mein ganzer Stolz und ein echtes Arbeitstier!“, schwärmt Marcello. Ist der Schalter dann erstmal umgelegt und das gute Stück aufgeheizt, laufen an einem Markttag locker 200 Shots durch die italienische Siebträger-Maschine! An so einem Tag ist aber nicht nur die Espressomaschine gefordert, auch die Kaffeemühle verpulvert mehrere Kilogramm Kaffeebohnen. Bei so vielen Extraktionen kann der Barista schon mal zu rotieren anfangen. „Die Maschinen permanent im Auge zu behalten, Bestellungen entgegenzunehmen und gleichzeitig ein guter Gastgeber zu sein, ist gar nicht mal so leicht!“, gibt Marcello zum Besten. „Ich hätte zwischen den einzelnen Arbeitsschritten gerne mehr Zeit. Schließlich lebt so ein Café doch erst durch die ganzen unterschiedlichen Begegnungen und Gespräche!“ Dann erfahre ich noch einen Insiderfact. Die Kaffeemühle im Caffè Marcello, stammt aus dem Inventar von Jutta Baisch und ihrer kleinen Café Bar. Ihre Café Bar war direkt neben den Räumlichkeiten von Annette Laiers Kaffeerösterei zu finden, über die ich in der Vergangenheit bereits ausführlich berichtet habe. Leider bleibt die Café Bar noch auf unbestimmte Zeit geschlossen.


An Markttagen (Di, Fr & Sa) öffnet Marcello sein Café von 8:00h bis 16:00h. An den Tagen dazwischen (Mi & Do), haben seine Gäste bis 14h Zeit, sich seine italienischen Kaffeeklassiker schmecken zu lassen und dabei eine gute Figur – eben bella figura – abzugeben. „Neben den Dauerbrennern Caffè, Cortado, Cappuccino und Macchiato, laufen vor allem der Flat White und der Americano ziemlich gut. Ab und zu ist aber auch mal ein Latte Macchiato dabei.“ Ich erfahre im Gespräch ziemlich viel über die unterschiedlichen Mischverhältnisse. „Caffè Doppio ist ein doppelter und unter einem Lungo versteht man einen etwas länger gebrühten Espresso. Dieser schmeckt aufgrund der längeren Extraktion etwas bitterer. Der Americano wiederum ist eigentlich auch ein Espresso, der allerdings mit heißem Wasser aufgefüllt wird. Beim Cappuccino gehts dann mit der Milch los. Hier haben wir ein Mischverhätniss von 1 zu 4, während es beim Flat White eher 1 zu 2 ausfällt. Der Cortado ist im Prinzip die Hälfte vom Flatwhite …“ und so referiert Marcello in einer Tour über sein handwerkliches Geschick und Angebot.



Bei seinen Kaffeekreationen achtet Marcello besonders darauf, dass sich Kaffee und Milch vereinen und eine Symbiose eingehen. „Die Milch ist bei mir richtig samtig und kein Bauschaum, wie bei so manch anderen!“, sagt er mit einem verschmitzten Lächeln. Sie stammt von dem gleichen Anbieter, von dem auch die benachbarte Käsefabrik L’Abbate ihre Milch bezieht. Beide setzen auf Regionalität aus dem Mühltal im Odenwald – vom sogenannten Sonnenhof. Der Sonnenhof ist ein Inklusions-Betrieb und nach Naturland-Richtlinien als zertifizierter Bio-Bauernhof anerkannt. Vor Ort wird also nicht nur darauf geachtet, dass die Qualität der Milch stimmt sowie die Standards für die Fütterung und Haltung von Tieren beachtet werden, sondern auch noch Menschen mit Behinderung eine Ausbildung erhalten. Diese soll sie bestmöglich auf die Arbeitswelt vorbereiten und letztendlich erfolgreich eingliedern. Neben der Beschaffung seiner Milch, setzt Marcello auch bei seinem Kaffee auf Regionalität. Seine Bohnen bekommt er von den Red Code Coffee Roasters aus Bensheim. Für die perfekte Tasse Kaffee vertraut Marcello auf sein Handwerk unter Berücksichtigung der vier essentiellen „M’s der Kaffeezubereitung“. Diese lauten: Mischung, Mahlgrad, Maschine und Mensch. „Erst wenn die Mischung und der Mahlgrad stimmen, die Maschine richtig eingestellt ist und auch der Barista sein Handwerk beherrscht, erst dann läuft der perfekte Caffè mit der so wichtigen dunklen Maserung – auch Tigerstreifen genannt – aus der Siebträger-Maschine.“ Marcello’s Erfolgsformel lautet: 18g Espresso, die mit 9 Bar und 92 Grad Wassertemperatur für 30 Sekunden extrahiert werden.






Es ist schon verrückt, wie das Leben manchmal verläuft und welche Wege es für einen bereit hält. Marcello ist nämlich eigentlich ein richtiger Spätzünder wenn es um Kaffee geht. Nach der Frage, wann er seinen ersten Kaffee getrunken hat, erfahre ich, dass dies erst im Alter von 19 Jahren passiert ist. „Das war noch zu WG Zeiten. Mein Mitbewohner war sehr italofin und hat jeden Morgen mit der Bialetti-Schraubkanne Kaffee aufgesetzt. Ich musste dann immer noch Zucker hinein löffeln. Er hat mir sonst einfach nicht geschmeckt.“ Heute trinkt er am liebsten Espresso, den dann allerdings komplett ohne Zucker! „Das Tolle an einem Tässchen am Tresen, sind doch eigentlich die Gespräche. Die vielen kleinen Begegnungen und Geschichten, die sich dort abspielen. Mit meinem Café probiere ich jeden Tag auf’s Neue einen solchen Ort zu erschaffen. An denen die unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten aufeinandertreffen, sich unterhalten und der Caffè zu ihrem kleinsten gemeinsamen Nenner wird!„ Die Resonanz seiner Gäste – ist trotz Corona – durchweg positiv. Marcello ist stolz auf seinen mutigen Schritt in die Selbstständigkeit und verspricht mir: „Wenn wir die Pandemie überstanden haben und das alltägliche Leben wieder in normalen Bahnen verläuft, werde ich richtig Gas geben und alles dafür tun, uns ein noch authentischeres Stückchen Italien an den Wilhelmsplatz nach Offenbach zu holen! – Ci puoi contare!“ Darauf trinken wir ein letztes Tässchen für heute und mir bleibt nichts anderes übrig als zu sagen:
Grazie Marcello, buona fortuna e arrivederci!
Caffè Marcello – Wilhelmsplatz 12 – 63065 Offenbach – E-Mail: ciao@caffemarcello.de
Öffnungszeiten:
Dienstag, Freitag & Samstag: 8:00h – 16:00h | Mittwoch & Donnerstag: 8:00h – 14:00h