Offenbacher Chemiegelände wird zum Innovations-Campus

#InnocampusOF

Es ist genau siebzehn Uhr. Der Blick auf den Kalender verrät mir, dass die letzte September Woche im Jahr 2021 gerade erst begonnen hat. Mein Kopf überschlägt in einer Wahnsinns-Geschwindigkeit die restlichen Tage bis zum Wochenende. Vor meinem geistigen Auge erscheint die ernüchternde Zahl Vier. Passend zu dieser Erkenntnis hängen die heutigen Wolken tief und die Bezeichnung „grau in grau“ trifft den Nagel so ziemlich auf den Kopf. Aber hey, ich bin pünktlich! An einem unbeständigen Herbsttag stehe ich mit einer Handvoll Anderer irgendwo im Nirgendwo. Hier war mal was. Aber was genau, lässt sich ohne Hintergrundwissen auf den ersten Blick nur erahnen. Jede Menge Raum für Spekulationen. Gott sei Dank bin ich in der privilegierten Lage, mit meinem kleinen Stadtmagazin mal wieder genauer hinzusehen und hinter die Kulissen zu blicken. Doch dazu später mehr. Für eine gelungene Einleitung, werfen wir erstmal einen Blick auf das restliche Stadtgebiet. 

So langsam müsste es nämlich auch dem Letzten aufgefallen sein, dass sich die Stadt Offenbach im Wandel befindet und wortwörtlich mit jedem Spatenstich – Baustellen haben wir schließlich genug – schöner wird. Dies lässt sich nicht nur an dem neuen Hafenviertel oder an der Neugestaltung des ehemaligen Toys „R“ Us Gebäudes, samt angrenzenden Flächen rund um die S-Bahn-Station Marktplatz erkennen, sondern auch in vielen Stadtgebieten, in denen Parks und Spielplätze entstehen sowie moderne Häuser und Wohnblocks in zweiter Reihe hochgezogen werden. Wohnraum ist bekanntlich knapp, die Grundsteuer (zu) hoch aber dennoch und auch, um im Wettbewerb mit der benachbarten Bankenstadt mitzuhalten, wird in Offenbach gebaut, verdichtet und sich mächtig ins Zeug gelegt. Sogar ich habe in diesem Jahr die Ärmel hochgekrempelt, Eigenheim erworben und selbiges in Eigenregie umgebaut und saniert. 

Als eines der wohl ambitioniertesten Bauvorhaben und gleichzeitig größten Chancen der Stadt Offenbach, dürfte über die nächsten Jahre aber sicherlich die Umgestaltung des Clariant-Chemiegeländes bezeichnet werden. Auf dem großen Gelände, dass ehemals auch unter den Namen Allessa, Höchst und Oehler firmierte, wurde in den Anfangstagen ab 1842 Teer destilliert. Jahrzehnte später haben sich die Betriebe dann auf die Herstellung von synthetischer Farbe konzentriert und gleichzeitig Forschungs- sowie Entwicklungsarbeit betrieben. Nach mehreren Umfirmierungen und letztendlich aus Gründen der Unwirtschaftlichkeit, wurde am 31. März 2010 die chemische Produktion am Standort Offenbach endgültig eingestellt. Istzustand:

Terra Incognita! 

Um dieser geschichtsträchtigen Produktionsstätte mehr oder weniger die letzte Ehre zu erweisen, durfte ich als ausgewählter Teilnehmer im Rahmen des diesjährigen Social-Media-Walks der Stadt Offenbach nochmal hinter die Kulissen blicken und zusammen mit einer Handvoll Gleichgesinnter  sowie Oberbürgermeister Dr. Felix Schwenke und Daniela Matha (Geschäftsführerin der Innovationscampus GmbH & Co KG) über das große Areal spazieren. 

Obwohl in diesem Zusammenhang das Wort Spazieren vielleicht falsch gewählt ist. Es galt nämlich, vor Einbruch der Dunkelheit 35 Hektar Brachland zu erkunden, weshalb Organisatorin Andrea Ehrig bereits im Vorfeld per E-Mail darum gebeten hat, mit dem Fahrrad, inklusive schützender Kopfbedeckung, zum Rundgang zu erscheinen. Treffpunkt war das Pförtnerhäuschen – der Ort mitten im Nirgendwo aus der Einleitung – an der Kettlerstraße 100. Und so wurde der Social-Media-Walk letztendlich zu einem Social-Media-Ride umfunktioniert. Neben jeder Menge Freiluft und loftigen Lagerhallen, gehörte das denkmalgeschützte Badehaus, welches nach den Entwürfen des Schweizer Architekten Hans Bernoulli in den Jahren von 1908 – 1910 errichtet wurde, zu den Highlights der Tour

Nach der Begrüßung und dem obligatorischen Check der Impfzertifikate, ging es auch schon direkt los mit der Tour. Hoch hinaus sollte es gehen, so wie mit der wirtschaftlichen Zukunft der Stadt. Wir bahnten uns also unseren Weg durch Treppenhäuser, Waschräume und unterschiedliche Stockwerke auf das Dach des ehemaligen Sozialgebäudes mit der Hausnummer 281. Oben angekommen, hatte wir einen tollen Überblick über das gesamte Areal.

Während wir Social-Media-Protagonisten probierten, das Gelände aus allen Himmelsrichtungen und der Vogelperspektive einzufangen, referierten Daniela und Felix abwechselnd über die Eckdaten der Vergangenheit und selbstverständlich über zukünftige Bauvorhaben. Felix bezeichnet das Gelände sogar als „sein zukünftiges Wohnzimmer, in dem noch so einiges passieren wird!“ Eine vergleichbare innerstädtische Freifläche sucht man in dieser Größenordnung in anderen hessischen Kommunen nämlich vergebens. Felix ist sichtlich stolz darauf und sieht die Transformation als eine große Chance für die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt Offenbach.

Wo knapp 180 Jahre lang chemische Produkte erzeugt wurden, sollen in Zukunft wieder Arbeitsplätze entstehen und Gewerbesteuerzahler angesiedelt werden. Die Firma Samson AG macht den Anfang und geht mit einem guten Beispiel als Großinvestor voran. Der Ventilhersteller kehrt nach einem guten Jahrhundert der Stadt Frankfurt den Rücken und kommt mit seiner Produktion sowie Forschungs- und Entwicklungsabteilung nach Offenbach. Laut Felix nimmt die Samson AG bereits die Hälfte des Geländes ein. Das dürften round about 140.000 m² sein. Weitere kleinere Freiflächen sind aber noch zu haben.

Ein weiterer Investor ist das inhabergeführte Unternehmen Biospring. Laut Felix‘ Instagram Account, handelt es sich dabei um eines der am stärksten wachsenden Unternehmen aus dem Zukunftsbereich der Biotechnologie in Hessen. Biospring möchte einen zweistelligen Millionenbetrag investieren, seine Produktion komplett neu aufbauen und damit 200 neue Arbeitsplätze erschaffen. Intern laufen die Arbeiten wohl schon auf Hochtouren, doch bis man von außen etwas sieht, wird es – ähnlich wie bei Samson – bis weit nach 2023 dauern.

Auf unserer Tour über das Riesen Gelände erkunden wir nicht nur weitere Gebäude, von denen einige unter Denkmalschutz stehen, sondern erfahren auch immer weitere Fakten. Erfreulich ist, dass das Gelände nicht nur Gewerbe und Industrie beheimaten, sondern auch für die Allgemeinheit zugänglich gemacht werden soll. Um den Spagat zu realisieren, stehen neue Verbindungsstraßen, öffentliche Plätze, jede Menge Grünflächen und Parks auf der Agenda.

In meiner eigenen kleinen Wunschvorstellung wäre ich ein großer Befürworter, wenn uns der industrielle Charme der alten Fabrikgebäude erhalten bleiben würde. Durch neue Konzepte und Upcycling-Maßnahmen könnte diese traditionelle Wirkungsstätte am Leben gehalten werden. Lassen wir uns von dem Blick nach London in Richtung Borough-Market und Camden-Town inspirieren, sollten wir anstatt Abrissbirnen, lieber die Ansiedlung kreativer Werbeagenturen und moderner Co-Workingspaces, kleinerer Manufakturen und Geschäfte sowie Food-Markets und anderer Begegnungsstätten anstreben. Diese würden sich meiner Meinung nach super in den alten Backsteingebäuden und Fabrikhallen machen und Offenbach als moderne Stadt mit neuem Aushängeschild repräsentieren.

Gerade noch rechtzeitig vor Einbruch der Dunkelheit erreichen wir das bereits im Vorfeld angekündigte Highlight der Tour: Das Badehaus. Als wäre der Wettergott Teil unseres kleinen Rundgangs, kamen bei Ankunft sogar noch ein paar helle Momente durch die ansonsten dichte Wolkendecke, die das kuppelförmige Gebäude in einem schönen Licht erstrahlen ließen.

Wie anfänglich bereits erwähnt, wurde das Badehaus von dem Schweizer Architekten Hans Bernoulli entworfen und in den Jahren 1908 bis 1910 errichtet. Laut des hessischen Denkmalschutzgesetzes handelt es sich dabei um ein Einzelkulturdenkmal, das auch als solches in die Liste der Kulturdenkmäler in Offenbach am Main eingetragen ist. Neben einer Betriebskrankenkasse und der Kantine gehörten auch die Dusch- und Baderäume zu den vorbildlichen Sozialeinrichtungen des Werksgeländes. In dem geräumigen Badehaus konnten sich die Werksmitarbeiter den Schmutz vom Körper waschen und nach einem harten Arbeitstag, frisch geduscht den Heimweg antreten.

Nachdem alle Tourteilnehmer auch den letzten versteckten Winkel der Nasszellen abgelichtet haben und noch bevor wir uns alle auf den eigenen Heimweg begeben, ging es noch – mit gebührendem Abstand versteht sich – in die Räumlichkeiten der Parkside-Studios. Bei leckeren Häppchen und Getränken konnten wir in lockerer Runde den Nachmittag Revue passieren lassen, über unser Schaffen und unsere zukünftigen Projekte sprechen und vor allem darauf achten, nicht die gelbe Couch aus den 70er Jahren zu bekleckern.

Soweit ich das aus meinen Gesprächen mitbekommen habe, sind sich alle Teilnehmer einig: In der Neugestaltung des zukünftigen Innovations-Campus besteht eine sehr große wirtschaftliche Chance für die Stadt Offenbach, die neben dem S-Bahn-Bau, zu den größten Projekten überhaupt zählen wird. Wie das Ganze letztendlich umgesetzt wird und wie viel von meinen eigenen kleinen Wunschvorstellungen tatsächlich übrig bleiben, werden die kommenden Jahre zeigen. Mir wird es jedenfalls Freude bereiten, die Verschmelzung aus traditioneller Vergangenheit und modernen Zukunftsaussichten aus der Ferne zu beobachten.

Innovations-Campus Offenbach

#schöneeckenausOffenbach

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